Sitzung: 03.09.2014 Ausschuss für Gesundheit, Soziales und Generationenfragen
Vorlage: 0459/2014
Ausschussvorsitzender Reyans schlägt vor, die Antwort auf die der Einladung beigefügten Anfrage nicht in der Sitzung zu verlesen, sondern der Niederschrift beizufügen. Dem folgt der Ausschuss einvernehmlich.
Die Antwort der Verwaltung lautet wie folgt:
Zu
Vorlage Nr. 0459/2014: Anfrage der CDU-Fraktion zur Entwicklung der
Grundsicherung im Alter im Kreis Heinsberg
Wie kann der
Altersarmut im Kreis Heinsberg im Rahmen der Quartiersentwicklung noch
wirksamer begegnet werden?
Landläufig wird Armut als eine
Unterausstattung mit ökonomischen Mitteln verstanden. Insofern ist es verständlich, dass sich der
Fokus der öffentlichen Diskussion primär auf diesen Aspekt ausgerichtet hat (z.
B. Rentenniveau im Kreis Heinsberg, Steigerung der Leistungsbezieher von Grundsicherungsleistungen
im Alter).
Abgestellt wird hierbei in erster
Linie auf den Ressourcenansatz, der vor allem auf die Ausstattung mit bzw.
Verfügung über Einkommen abzielt. Dieser
Ansatz ist aber nicht unproblematisch, da der Handlungsspielraum eines Haushalts
nicht nur durch die Ressource Einkommen, sondern auch durch weitere Ressourcen
wie Vermögen(z.B. Wohneigentum), schulische und berufliche Qualifikation
(Humankapital), soziale Einbindung (Sozialkapital) und Verfügung über Zeit
bestimmt wird. So kann auch dann eine Notlage vorliegen, wenn das verfügbare
Haushaltseinkommen die Armutsgrenze übersteigt, aber durch hohe Fixkosten (z.B. Zins- und Tilgungsbelastungen) vorab
gemindert wird, oder wenn die Mittel unwirtschaftlich eingesetzt oder
unausgewogen unter den Haushaltsmitgliedern verteilt werden. Anderseits kann in Notlagen ggf. auch auf
vorhandenes Vermögen zurückgegriffen werden.
Armut im umfassenden Sinn ergibt
sich als Ergebnis des Ressourceneinsatzes und als Ausdruck einer vorfindbaren
Lebenslage. Eine an der Lebenslage orientierte Definition von Armut fragt
danach, ob bei der Versorgung der Menschen mit Nahrung, Bekleidung, Wohnraum,
Wohnungseinrichtung, Leistungen des Gesundheits- und Sozialwesens
Mindeststandards erreicht werden. Ein solcher Lebenslagenansatz, der Armut
direkt und nicht indirekt über den Ressourcenzufluss misst, muss darüber hinaus
berücksichtigen, ob die Menschen ausreichend am gesellschaftlichen, kulturellen
und politischen Leben teilhaben können. Dies betrifft Bereiche wie Arbeit, Bildung,
Freizeitgestaltung, soziale Beziehungen und Information. Liegt Unterversorgung
in gleich mehreren Lebensbereichen vor, besteht das Risiko, dass Armut zugleich
mit sozialer Ausgrenzung verbunden ist.
Die Rolle kommunaler Sozialpolitik
ist nach Auffassung der Verwaltung insofern nicht primär in der Funktion eines
Ausfallbürgens mangelnder oder unzureichender vorgelagerter Sicherungssysteme
zu sehen und ist keinesfalls gleichzusetzen mit der ausschließlichen Gewährung
staatlicher Hilfen.
Im Vordergrund stehen vielmehr die
Verbesserung der Teilhabechancen und die Chancengerechtigkeit der
Einwohnerinnen und Einwohner.
Angebote für arbeitslose
Jugendliche, die Ausgestaltung und Weiterentwicklung der ambulanten Hilfen für
Senioren, Förderung der Inklusion und Integration oder die alters- und
altengerechte Gestaltung ganzer Quartiere sind in diesem Verständnis
beispielsweise Aufgabenstellungen der Kommunen mit entscheidenden Auswirkungen
auf die soziale Entwicklung im Kreisgebiet.
Voraussetzung für eine
solchermaßen zielorientierte kommunale Sozialpolitik ist die umfängliche
Analyse der bestehenden Lebenslagen. Die hierfür erforderliche Vorarbeit ist
nur auf lokaler Ebene zu leisten. Auf der Grundlage des Beschlusses des
Kreistages vom 16.05.2013 und in enger Zusammenarbeit und Abstimmung mit den
kreisangehörigen Kommunen, wurden in den letzten Monaten für den Kreis 20
Sozialräume definiert und diese nochmals in insgesamt 59 Quartiere unterteilt.
Hierdurch sind nunmehr Grundlagen geschaffen worden, um eine
lebenslagenorientierte Sozialpolitik konzipieren und die Kommunen mit dafür
wesentliche Sachinformationen ausstatten zu können.
Über das laufende Sozialmonitoring
werden voraussichtlich wichtige Erkenntnisse zu Lebenslagen in kleinräumigen
Strukturen generiert werden können, die für die Weiterentwicklung der
kommunalen Sozialpolitik nutzbar zu machen sind. Hierüber können
Beeinträchtigungen von immateriellen und materiellen Lebensbedingungen
einzelner Gruppen und Quartiere erkannt werden. Auf deren Grundlage können
Lösungskonzepte erstellt und Entwicklungsziele formuliert werden. Die Kenntnis
der jeweiligen Lebenslagen erlaubt es, ganzheitliche Lösungsstrategien für
soziale Problemgruppen und benachteiligte Quartiere aufzuzeigen und präventiv zu
wirken.
Darüber hinaus wird hierdurch die
Anschlussfähigkeit zum im Zweiten Armuts- und Reichtumsbericht der
Bundesregierung thematisierten Fähigkeiten-Ansatz ermöglicht, der Teilhabe- und
Verwirklichungschancen in den Fokus nimmt.
Durch die Ergebnisse des
Sozialmonitors – ggf. in Verbindung mit einer vertiefenden Studie - kann der
eindimensionale Ansatz der Einkommensarmut um weitere Blickwinkel erweitert und
damit weitere Auswirkungen von Armutsbetroffenheit erkennbar und damit auch
gestaltbar gemacht werden.
Dabei ist es wichtig, dass die
Ziele und Zielwerte von allen relevanten Akteuren in der Kommune gemeinsam
definiert und die Leistungserbringung wirkungsorientiert gesteuert werden. Angesichts der Unterschiedlichkeit der
kreisangehörigen Kommunen und ihrer Quartiere, kann die Umsetzung nur örtlich
angepasst und abgestimmt zum Erfolg führen. Voraussetzung ist aber auch die
Bereitschaft aller, ihre Leistung den Bedarfen flexibel anzupassen. Starre
zentrale Systeme scheitern bekanntermaßen an dieser Bedingung.
Es geht insofern zukünftig
verstärkt um den Auf- bzw. Ausbau von tragfähigen Netzwerken im Sinne von
Projektnetzwerken oder Produktionsnetzwerken, da die in einem Quartier tätigen
autonomen Akteure hierarchisch nicht steuerbar sind.
In den hierfür zukünftig zu
entwickelnden bzw. zu intensivierenden Netzwerken stehen aus sozialplanerischer
Sicht die Steuerungsmedien
- Kooperation,
- Vertrauen,
- Selbstverpflichtung der Akteure,
- Verlässlichkeit,
- Verhandlung
im
Vordergrund der Zusammenarbeit der in der Armutsbekämpfung handelnden Akteure.