Sitzung: 27.02.2024 Kreisausschuss
Beschluss: einstimmig beschlossen
Abstimmung: Ja: 16, Nein: 0, Enthaltungen: 0, Befangen: 0
Vorlage: 0038/2024
Beschlussvorschlag:
Der Psychiatrie- und Suchtplan wird beschlossen.
In den Jahren 1993 und 2000 wurden Psychiatriepläne veröffentlicht, deren Ziel es war, die jeweils aktuelle psychiatrische Versorgungslandschaft darzustellen sowie die zukünftigen Bedarfe in diesem Handlungsfeld zu ermitteln. Seit Mai 2000 hat es keine Fortschreibungen dieses Dokumentes mehr gegeben. Unabhängig vom Psychiatrieplan wurden auch sog. Suchtpläne veröffentlicht, die einen ähnlichen Zweck verfolgten.
Im neuen Psychiatrie- und Suchtplan (Anlage der Einladung zur Sitzung des Kreisausschusses) werden beide Aspekte zusammengeführt, da Suchterkrankungen ebenfalls zu den im F-Kapitel der International Classification of Diseases (ICD-10) aufgeführten psychiatrischen Erkrankungen gehören. Besonders im Hinblick auf die Corona-Pandemie, welche die Netzwerkarbeit innerhalb der Psychosozialen Arbeitsgemeinschaft (PSAG) im Kreis Heinsberg weitestgehend zum Erliegen gebracht hat, ist das aktuelle Planungsdokument in gewisser Weise als ein Neuanfang zu verstehen.
Das 184 Seiten umfassende Werk gliedert sich dabei in drei Themenblöcke, deren Inhalte im Folgenden dargestellt werden: 1. Einleitung, 2. Grundprinzipien und Rahmenbedingungen der psychiatrischen Prävention und Versorgung des Kreises Heinsberg sowie 3. der Psychiatrie- und Suchtplan des Kreises Heinsberg.
1.
Einleitung
Ziel dieses Abschnittes ist das Aufzeigen der drastischen
Zunahme psychischer Erkrankungen anhand der aktuellen Prävalenzen sowie des
sozioökonomischen Effektes. Schätzungen zufolge erleidet fast jeder dritte
Mensch im Laufe seines Lebens eine psychische Erkrankung. Inzwischen haben die
psychischen Störungen die Krebs- und Herz-Kreislauferkrankungen weltweit
überrundet. Dies wirkt sich auch auf der Ebene des sozioökonomischen Effektes
aus. So betrug die Höhe der direkten Kosten psychischer Erkrankungen für die Volkswirtschaft
in Deutschland im Jahr 2015 laut Statistischem Bundesamt ca. 44,4 Milliarden
Euro, was einem Anteil von 13,1% an den gesamten direkten Krankheitskosten
entspricht.
Eine weitere Thematik in diesem Zusammenhang bezieht sich auf Stigmatisierungen bzw. Diskriminierungen von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Trotz der Durchführung von sog. Anti-Stigma-Kampagnen, die zu einem partiellen Wandel in der Gesellschaft geführt haben, ist dieses Thema immer noch präsent. Die AG Psychiatrie der obersten Landesgesundheitsbehörden stellte zudem fest, dass die Vorurteile der Bevölkerung u.a. dazu führen würden, dass Kinder und Jugendliche Gefahr laufen, in der Schule ausgegrenzt zu werden, und Erwachsene psychische Erkrankungen bzw. etwaige Aufenthalte in einer psychiatrischen Einrichtung gegenüber Arbeitgebern, Kolleg:innen, Bekannten oder Vermieter:innen verschweigen.
In den folgenden Abschnitten des Einleitungskapitels wird auf Themen eingegangen, die in direktem Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen stehen und immer mehr an gesellschaftlicher Relevanz gewinnen. Dazu zählen im Einzelnen:
1.
COVID-19-Pandemie
und ihre Auswirkungen auf die psychische Gesundheit
2.
Der
Klimawandel und seine Folgen für die psychische Gesundheit
3.
Versorgung
psychisch erkrankter Menschen mit Migrations- und Flüchtlingshintergrund
4.
Der
demografische Wandel und seine Auswirkungen auf die psychische Gesundheit von
Senior:innen – Demenz und Altersdepression
5.
Suchterkrankungen
– eine der wichtigsten Risikofaktoren für Morbidität und Mortalität
2.
Grundprinzipien
und Rahmenbedingungen der psychiatrischen Gesundheits-förderung/Prävention und
Versorgung des Kreises Heinsberg
Dieser Themenblock ist in zwei Unterkapitel aufgeteilt:
Menschenbild und Gesundheitsdefinition sowie Formale Rahmenbedingungen. Da, wie
bereits erwähnt, der vorliegende Psychiatrie- und Suchtplan auch als ein
Statement des Öffentlichen Gesundheitsdienstes oder genauer: des
Sozialpsychiatrischen Dienstes des Kreises Heinsberg bezüglich der
psychiatrischen Versorgung der Bevölkerung zu verstehen ist, sind Aussagen zum
Menschenbild sowie zum Verständnis des grundlegenden Begriffs (psychische bzw.
mentale) Gesundheit unerlässlich.
Wie in den ersten beiden Psychiatrieplänen wird auch für das vorliegende Dokument das Konzept des bio-psycho-sozialen Modells auf das zugrundeliegende Menschenbild angewandt. Dies kann im Kontext der psychiatrischen Fachwelt als allgemein akzeptiert bezeichnet werden. Aus diesem Verständnis heraus ergibt sich auch die Grundaussage im Hinblick auf alle Bemühungen im Rahmen der psychiatrischen Versorgung, dass der Mensch im Mittelpunkt steht und nicht seine Erkrankung. Hier wird insbesondere darauf hingewiesen, dass neben der Versorgung von Bürger:innen mit psychischen Störungen bzw. Erkrankungen ein stärkeres Augenmerk auf die Bereiche Gesundheitsförderung und Prävention gelegt wird. Oder anders ausgedrückt: Salutogenese und Pathogenese begegnen sich auf Augenhöhe. Dies schließt im Übrigen auch Aspekte wie beispielsweise die Stärkung der (psychischen) Gesundheitskompetenz der Bürger:innen mit ein.
Eng verknüpft mit dem Menschenbild ist auch die Frage, wie der grundlegende Begriff der „Gesundheit“ zu verstehen ist. Die im Jahre 1948 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf ihrer ersten, konstituierenden Sitzung publizierte Definition, wonach Gesundheit ein „Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen“ sei, wird heute von Teilen der Fachwelt in Frage gestellt. Die hier postulierte Maximalanforderung nach einem Zustand des vollständigen (…) Wohlbefindens steht schon seit geraumer Zeit in der Kritik, da ein solcher Zustand in den Augen der Kritiker unmöglich zu erreichen sei. Außerdem wird Gesundheit als ein statisches Moment im Sinne eines Zustandes gesehen, was der Wahrnehmung vieler Fachleute nicht mehr entspricht, da Gesundheit dort als ein Kontinuum erlebt wird.
Das in den Niederlanden entwickelte Konzept der Positiven Gesundheit trägt den o.a. Kritikpunkten Rechnung. Gesundheit wird hier als die „Fähigkeit, sich in eigener Regie an soziale, körperliche und emotionale Herausforderungen anzupassen“ verstanden. Diese Konzeption stellt den Menschen mit seinen Möglichkeiten stärker in den Vordergrund und unterstützt somit den Aspekt der Selbstwirksamkeit, der nachweislich in Heilungsprozessen notwendig ist. Positive Gesundheit vertritt somit eine breiter aufgestellte Vorstellung von Gesundheit und zielt insbesondere auf den Aspekt der Salutogenese und der Gesundheitsförderung bzw. Prävention ab. Aus diesem Konzept heraus haben sich insgesamt sechs sog. Gesundheitsdimensionen entwickelt, welche die Grundlage für ein in der Praxis einzusetzendes Gesprächsinstrument sind.
Im Jahr 2005 veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine Definition von psychischer Gesundheit. Demnach ist psychische Gesundheit ein Zustand des Wohlbefindens, in dem eine Person ihre eigenen Fähigkeiten erkennt, die normalen Belastungen des Lebens bewältigen kann, produktiv arbeiten kann und in der Lage ist, einen Beitrag zu ihrer Gemeinschaft zu leisten. Darauf basierend kamen die beiden Forscher Corey Keyes und Gerben Westerhof zu dem Schluss, dass psychische Gesundheit eine Kombination aus emotionalem, psychologischem und sozialem Wohlbefinden erfordert. Darauf aufbauend entwickelten sie das sog. 2-Kontinua-Modell. Für weitere Informationen wird an dieser Stelle auf den Psychiatrie- und Suchtplan verwiesen.
Die formalen Rahmenbedingungen werden an dieser Stelle nur exemplarisch aufgeführt. Sie bilden die formale Grundlage für den Psychiatrie- und Suchtplan des Kreises Heinsberg.
·
(Mental)
Health In All Policies
·
Agenda
2030
·
UN-Behindertenrechtskonvention
·
Das
Bundesteilhabegesetz (BTHG)
·
Die
Aktionspläne der Weltgesundheitsorganisation:
o
Comprehensive Mental Health Action Plan 2013-2030
o
European Mental Health Action Plan 2013-2020
·
Landespsychiatrieplan
NRW
·
EU-Drogenstrategie
2021-2025
·
Nationale
Strategie zur Drogen- und Suchtpolitik
·
Landeskonzept
gegen Sucht NRW
3.
Der
Psychiatrie- und Suchtplan des Kreises Heinsberg
Einleitend für diesen Themenblock werden der Zweck und die
Zielsetzung dieses Dokuments aufgeführt, welche sich in folgende Schlagworte
zusammenfassen lassen:
1.
Neupositionierung
2.
Salutogenese
und Pathogenese begegnen sich auf Augenhöhe
3.
Erhebung
der aktuellen Versorgungssituation
4.
Erhebung
der aktuellen und zukünftigen Bedarfe
5.
Psychiatriekoordination:
Themen für die PSAG und ihre Arbeitskreise
Im folgenden Abschnitt wird die Arbeit des
Sozialpsychiatrischen Dienstes (SpDi) detailliert dargelegt. Dabei werden
zunächst die Aufgabenbereiche dargestellt. Das bundesweite Netzwerk
Sozialpsychiatrischer Dienste fasst die Dienstleistungen in Form von sog.
Kernaufgaben wie folgt zusammen:
1.
Niederschwellige
Beratung und Betreuung
2.
Krisenintervention
und (im Notfall) Unterbringung
3.
Planung
und Koordination von Einzelfallhilfen
4.
Netzwerkarbeit
und Steuerung im regionalen Verbund
5.
Beschwerdemanagement
und Fachaufsicht
Danach erfolgt eine Darstellung der sozialpsychiatrischen Versorgung im Gebiet der Euregio Maas-Rhein. Der Kreis Heinsberg hat sich in der Vergangenheit aktiv an der euregionalen Zusammenarbeit im Rahmen von Projekten und Netzwerkarbeit beteiligt. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Bereich der psychiatrischen Versorgung stellt ein wichtiges Handlungsfeld dar.
Im Anschluss daran erfolgt die Darstellung der Arbeit des Sozialpsychiatrischen Dienstes (SpDi) des Kreises Heinsberg, insbesondere im Hinblick auf die beiden Kernbereiche der psychiatrischen und der Suchtberatung. Für nähere Informationen wird an dieser Stelle auf die Ausführungen im Psychiatrie- und Suchtplan verwiesen. Des Weiteren werden in diesem Abschnitt die Koordinations- und Vernetzungsstrukturen dargestellt. Im Hinblick auf die Kommunale Gesundheitskonferenz gehört die Psychosoziale Arbeitsgemeinschaft (PSAG) zu einer der vorbereitenden Gremien, wie beispielsweise die AG Gesundheitsförderung.
Die Gesundheitsberichterstattung (GBE) ist integraler Bestandteil der Arbeit des Öffentlichen Gesundheitsdienstes. Die GBE liefert wissenschaftlich fundierte Informationen zur Gesundheit der Bevölkerung und kann somit auch als Grundlage im Rahmen von Entscheidungsprozessen dienen. Das ca. 80-seitige Unterkapitel „Epidemiologische Daten“ liefert Daten zum Gesundheitszustand im Hinblick auf psychiatrische Erkrankungen der Bürger:innen des Kreises Heinsberg. Datenquellen sind dabei u.a. die Gesundheitsindikatoren des Landeszentrums Gesundheit NRW, der GBE-Stat 2.0 (Version 2021) sowie der Behandlungsdiagnosen der kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein auf Kreis- und Gemeindeebene.
Der letzte Abschnitt des Psychiatrie- und Suchtplans des Kreises Heinsberg beschäftigt sich mit der Identifizierung von Themenbereichen, die von der PSAG in den kommenden fünf Jahren bis zur nächsten Fortschreibung zu bearbeiten sein werden. Zu diesem Zweck wurden die Mitgliedsorganisationen bezüglich ihrer Wünsche und Bedarfe befragt. Der Rücklauf der Umfrage betrug 16,92 %, von diesen machten auch nicht alle Organisationen Aussagen zu Versorgungslücken bzw. Bedarfen.
Im Folgenden werden die Themenbereiche aufgeführt. Nähere Informationen zu diesen Themen können dem Psychiatrie- und Suchtplan entnommen werden.
1.
Fachärztinnenmangel
im psychiatrischen Versorgungsbereich
2.
Mangel
an Psychotherapieplätzen
3.
Menschen
mit komplexen Hilfebedarfen
4.
Digitalisierung
5.
Gesundheitsberichterstattung
6.
Psychische
Gesundheitskompetenz
7.
Depression
8.
Mental
Health First Aid
9.
Menschen
in Überlastungszuständen: Burn-Out
10.
Auswirkungen
des demografischen Wandels: Demenz und Altersdepression
11.
Sucht
im Alter
12.
Legalisierung
von Cannabis
13.
Synthetische
Opioide
Den Abschluss des Psychiatrie- und Suchtplans bildet die 20-seitige Literaturliste, in der die internationale und nationale Literatur aufgeführt wird, die für die Erstellung dieses Dokumentes herangezogen wurde.