Beschluss: zur Kenntnis genommen

Herr Andreas Louven, Leiter des Amtes für Soziales, berichtet hierzu wie folgt:

 

Am 01. Januar 2019 tritt die dritte  Reformstufe des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) in Kraft, die für den Kreis Heinsberg als (Örtlichem) Träger der Sozialhilfe weitreichende Änderungen mit sich bringt.

 

Besonders hervorzuheben ist die Herauslösung der Regelungen zur Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung aus dem Recht der Sozialhilfe (Sozialgesetzbuch - Zwölftes Buch - (SGB XII), 6. Kapitel) und Eingliederung als „Besondere Leistungen zur selbstbestimmten Lebensführung für Menschen mit Behinderungen“ in das Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - (SGB IX), Teil 2.

 

Diese „Besonderen Leistungen zur selbstbestimmten Lebensführung für Menschen mit Behinderungen“ werden zukünftig von den „Trägern der Eingliederungshilfe“ erbracht, wobei hier die bisher aus dem Sozialhilferecht bekannte Unterscheidung in „Überörtliche“ und „Örtliche“ Träger entfällt. Die Träger der Eingliederungshilfe werden von den Ländern bestimmt[1]. Das Land NRW hat grundsätzlich die Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe zum Träger der Eingliederungshilfe bestimmt[2], davon abweichend die Kreise und kreisfreien Städte für Leistungen der Eingliederungshilfe an Personen bis zur Beendigung der Schulausbildung an einer allgemeinen Schule oder an einer Förderschule, längstens bis zur Beendigung der Sekundarstufe II[3]. Letzteres gilt nicht für Personen, die Leistungen der Eingliederungshilfe über Tag und Nacht entsprechend § 27c Abs. 1 Nrn. 1 und 2 SGB XII, zur Betreuung in einer Pflegefamilie, in heilpädagogischen Tagestätten, in Kindertageseinrichtungen sowie in der Kindertagespflege oder im Rahmen der Frühförderung erhalten. Auch hier sind die Landschaftsverbände die Träger der Eingliederungshilfe.

 

Zusammengefasst ist also der Kreis nun als Träger der Eingliederungshilfe zuständig für alle Eingliederungshilfen für Kinder und Jugendliche/junge Erwachsene in der Herkunftsfamilie mit Ausnahme der Frühförderung und Eingliederungshilfen in Kindertagesstätten.

 

Für Leistungen der Eingliederungshilfe ist nun eine Gesamtplanung normiert, die das für alle Rehabilitationsträger verbindlich geltende Teilhabeplanverfahren ergänzt[4].

 

Um Eingliederungshilfeleistungen erbringen zu können, muss der Kreis als Eingliederungshilfeträger gegebenenfalls neue Leistungsvereinbarungen abschließen[5].

Ab 2020 entfällt die Unterscheidung von Eingliederungshilfen in ambulanten und stationären Wohnformen und damit die dort bekannte „Komplexleistung“ aus dem Mix von Lebensunterhalts- und Fachleistungen, die zwischen dem Träger des Heimes (der stationären Einrichtung) und dem Träger der Sozialhilfe, aber nicht dem Menschen mit Behinderung, vereinbart wurde. Der Träger der Eingliederungshilfe wird künftig lediglich die (therapeutischen, pädagogischen oder sonstigen) Fachleistungen erbringen, während für den Lebensunterhalt und die notwendigen Kosten der Unterkunft, wie bei Menschen ohne Behinderungen, Leistungen nach dem 3. oder 4. Kapitel des SGB XII durch den örtlichen Sozialhilfeträger bzw. nach dem SGB II durch das Jobcenter erbracht werden[6].

 

Menschen mit Behinderungen, die bisher in stationären Einrichtungen der Eingliederungshilfe leben, werden also künftig in sogenannten „besonderen Wohnformen“ wohnen. Das Wohnumfeld wird sich zum 01. Januar 2020 aber nicht sofort ändern, Veränderungen werden sich sukzessive ergeben. Es ändert sich aber das rechtliche Umfeld - anders als bisher muss der Mensch mit Behinderung (unterstützt durch seine(n) Betreuerin/Betreuer oder Bevollmächtigte(n))  einen Mietvertrag (in der Regel nach dem Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz - WBVG)  und einen Vertrag über die Eingliederungsleistungen, die in Anspruch genommen werden sollen, mit der Einrichtung als Vermieter und Dienstleister abschließen[7].

Anders als bisher ist nun der Mensch mit Behinderung verfügungsberechtigt über die ihm zur Verfügung stehenden Einkünfte wie Rente, Werkstatteinkommen u. Ä.. Ebenso muss sie/er aber die Bezahlung der Miete, der mit dem Vermieter vereinbarten zusätzlichen Leistungen, gegebenenfalls von Lebensmitteln und die Bezahlung der in Anspruch genommenen Fachleistungen gewährleisten.

Es ist davon auszugehen, dass der weit überwiegende Teil der derzeitigen Heimbewohner Anspruch auf Lebensunterhaltsleistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII (Hilfe zum Lebensunterhalt) oder dem 4. Kapitel des SGB XII (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) hat.

Für den Kreis als Sozialhilfeträger bedeutet dies, dass Leistungen zum Lebensunterhalt für weitere ca. 500 Personen zu erbringen sind, die im ganzen Bundesgebiet verteilt sein können. Dies ist den Zuständigkeitsregelungen geschuldet, wonach der Träger der Sozialhilfe, in dessen Bereich der Mensch mit Behinderung vor Heimaufnahme seinen „gewöhnlichen Aufenthalt“ hatte, zuständig ist. Ist also (beispielsweise) ein Mensch mit Behinderung aus Heinsberg kommend in München in einer stationären Einrichtung der Behindertenhilfe aufgenommen worden, ist der Kreis Heinsberg für die Lebensunterhaltsleistungen zuständig.

Da solche Aufnahmen teilweise bereits mehrere Jahrzehnte zurückliegen, ist der zuständige Träger der Sozialhilfe teilweise nur sehr schwer zu ermitteln. Genauere Zahlen konnte der LVR bisher nicht mitteilen.

Da die Betroffenen sich bisher nicht selbst mit Mietvertragsrecht und der Verwaltung  des eigenen Geldes beschäftigen mussten, besteht bei den Menschen eine erhebliche Verunsicherung, ebenso wie bei den Einrichtungen, die nun für Wohn-, Gemeinschafts-, Fachleistungs- und Mischflächen Miethöhen zu kalkulieren und Betriebskosten festzusetzen haben.

Zusammen mit den Einrichtungen ist das Amt für Soziales bemüht, den Umbruch für die betroffenen Menschen mit Behinderung möglichst unproblematisch zu gestalten. Hierzu hat das Amt für Soziales sogenannte „Netzwerktreffen“ organisiert, in denen mit der Anbieterlandschaft im Kreis die sozialhilferechtlichen, mietrechtlichen und organisatorischen Problemlagen besprochen und Abläufe vereinbart wurden. In den Einrichtungen selbst wurden in Zusammenarbeit mit den Einrichtungsträgern vom Amt für Soziales sechs abendliche Informationsveranstaltungen durchgeführt, um den Bewohnern bzw. den Betreuern /Bevollmächtigten Erfordernisse und Abläufe nahezubringen.

Für die Sachbearbeitung in den zusätzlichen Fällen wurden im Amt für Soziales vier weitere Stellen (gehobener Dienst A9/A10 LBesG)  eingerichtet und auch schon besetzt.

In allen Neufällen muss am 01. Januar 2020 die zustehende Sozialhilfeleistung auf dem Konto der/des Leistungsberechtigten sein, damit die Miete gezahlt werden kann und der Lebensunterhalt gewährleistet ist. Hierfür muss bereits jetzt sichergestellt werden, dass die entsprechenden Leistungen auch beantragt werden. Die Anträge sind in der verbleibenden Zeit bis Mitte Dezember 2019 noch zu bearbeiten. Hierzu wird das Amt für Soziales mit den Einrichtungen und dem LVR die Menschen, die hier zu betreuen sind, identifizieren, zur Antragstellung auffordern und darauf hinwirken, dass der Antrag auch gestellt wird. Aktuell liegen bereits 154 Anträge vor und sind in Bearbeitung.

Auch für die Beschäftigten in den beiden Werkstätten für Menschen mit Behinderung (WfbM) im Kreis ergeben sich ähnliche Änderungen. Hier wird ab 01. Januar 2020 die Mittagsverpflegung nicht mehr im Rahmen der Eingliederungshilfe vom LVR erbracht, sondern ist vom Werkstattbeschäftigten aus seinem Einkommen und gegebenenfalls ergänzender Lebensunterhaltsleistungen nach dem SGB XII selbst zu finanzieren. Hierzu hat der Bundesgesetzgeber ab 2020 einen weiteren „Mehrbedarf“ normiert[8]. Wegen der damit einhergehenden Erhöhung des sozialhilferechtlichen Bedarfs wird nun eine Vielzahl von Werkstattbeschäftigten erstmals einen Anspruch auf Lebensunterhaltsleistungen nach dem SGB XII haben. In Zusammenarbeit mit den beiden Werkstätten ist das Amt für Soziales derzeit dabei, auch hier bei den ca. 1.000 Beschäftigten[9] (ohne Heimbewohner!) die potentiell Leistungsberechtigten zu identifizieren und zur Antragstellung aufzufordern. Da bei diesem Personenkreis aufgrund der Delegation der Aufgabe überwiegend den kreisangehörigen Kommunen die Bearbeitung der Anträge obliegt, sind diese ebenfalls mit eingebunden.

Die damit einhergehenden Personalbedarfe beim Kreis bzw. bei den kreisangehörigen Kommunen lassen sich derzeit noch nicht abschätzen.

 

Von Seiten des Amtes für Soziales werden alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um die rechtzeitige Leistungsgewährung für die Werkstattbeschäftigten und die Menschen in besonderen Wohnformen sicher zu stellen.  



[1] § 94 Abs. 1 SGB IX

[2] § 1 Abs. 1 Ausführungsgesetz zum Neunten Buch Sozialgesetzbuch für das Land Nordrhein-Westfalen (AG-SGB IX NRW)

[3] § 1 Abs. 2 AG-SGB IX NRW

[4] §§ 117 ff SGB IX

[5] §§ 123 ff SGB IX

[6] Siehe auch:  https://umsetzungsbegleitung-bthg.de/gesetz/aenderungen-im-einzelnen/

[7] Siehe auch:  https://umsetzungsbegleitung-bthg.de/gesetz/aenderungen-im-einzelnen/

[8] § 42b SGB XII 2020

[9] Ca. 700 Personen WfbM der Lebenshilfe, ca. 300 Personen Prospex gGmbH